Diese Woche hat der deutsche Außenminister die Reisewarnung für die meisten europäischen Länder aufgehoben, die Grenzen sind wieder offen und unser Sommerurlaub damit gerettet. Also ab in den Urlaub?

Balkonien erlebt gerade eine neue Renaissance – auf Google Trends ist die Such nach „Balkonpflanzen“ , “ – möbel“ und „Setzlingen“ ab der 2. Woche des Lockdown sprunghaft angestiegen (um mehr als 300% ) verglichen mit dem gleichen Zeitraum in 2019. Der Balkon war schon immer ein geschichtsträchtiger Ort. Früher war er selten – Palästen und Schlössern vorbehalten. Herrscherfamilien stellen ihren Familienzuwachs heute noch gerne auf dem Balkon vor und winken ihrem Volk zu besonderen Anlässen von dort aus zu, auch die katholische Kirche verkündigt ihre wichtige Botschaft „Habemus Papam“ vom Mittelbalkon des Petersdom, der als „Benediktionsloggia“ wohl auch den klangvollsten Namen unter den Balkonen innehat.  Im Theater ist der Balkon seit Jahrhunderten und vielleicht auf ewig mit Shakespears „Romeo und Julia“ verbunden – zweiter Akt, zweite Szene, schlicht als „Balkonszene“ bekannt. Und auch Deutschlands Volkssport Nummer eins nutzt die Magie des Balkons und krönt den Saisonhöhepunkt seit Jahren mit einer Feier auf dem Münchner Rathausbalkon.

Im Privaten hat es der Balkon erst seit der Gründerzeit zum Massenphänomen geschafft. Seither ist er ein Schwellenort. Man tritt ins Freie und bleibt dennoch im eigenen Reich, holt Luft, schaut um sich und vielleicht sogar ins Grüne. Der Balkon ist ein Ort besonderer Freiheiten, zwischen drinnen und draußen, zwischen privat und öffentlich.  Seit das öffentliche Leben unter Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverboten leidet und das private unter dem Gefühl, nicht ausweichen zu können, haben die Balkone eine neue Würde gewonnen. Sie ersetzen, so weit es eben geht, städtische Plätze und Dorfmittelpunkte, werden Bühnen der Gesellschaft. Man singt und klatscht auf ihnen. Und neuerdings verreist man auch (wieder) auf ihnen, sie werden als Sehnsuchtsorte mit landestypischer Atmosphäre aufgeladen – hier die Tipps für den mediterranen Balkon, dort die Hängematte und eine Bananenstaude für den exotischen Bali-Flair und das vertikale Balkonbeet mit Ministrauchtomaten und eingesetzten Marienkäferlarven als Ersatz für Ferien auf dem Bauernhof. Nice. Aber entsteht hier echtes Urlaubsgefühl?

Photo by Artur Aleksanian on Unsplash

Damit sind wir schon beim Kernthema angelangt. Was verbinden Sie mit Urlaub? Und was davon brauchen Sie, damit Sie sich im Urlaub gut erholen? Oder um die Fragestellung psychologisch zu stellen: Welches ihrer Bedürfnisse sollte im Urlaub gestillt werden, damit es für Sie ein erholsamer Urlaub ist? Gerade weil wir uns unser Urlaubsgefühl auf Balkonien selbst schaffen, haben wir die Chance, genauer zu erforschen und herauszufinden, wie wir persönlich in den Erholungsmodus gelangen.

Hinter jeder Urlaubssehnsucht steckt ein Bedürfnis

Wie bei jedem anderen Urlaub auch, macht es Sinn, sich im Vorfeld damit zu beschäftigen, worauf man sich im Urlaub freut, denn das variiert von Person zu Person und auch von Lebensphase zu Lebensphase (Dolnicar, Yanamandram & Cliff; 2012). Wichtig dabei ist, keine unrealistischen Erwartungen aufzubauen, um nicht enttäuscht zu werden. Sich etwa romantische Stunden zu zweit in der Abendsonne vorzustellen, wenn die Kinder mit in Balkonien sind, könnte so eine unrealistische Vorstellung sein. Deshalb lohnt sich die Frage, auf was freuen Sie sich am meisten?

Auf Zeit für sich?
Oder auf Zeit für ungestörte Gespräche mit ihrem Partner?
Auf ein gutes Buch?
Auf Zeit in der Natur?
Auf Neues und Inspiration?
Darauf, sich um nichts kümmern zu müssen?
Sich etwas Besonderes, etwas Gutes zu gönnen?

Hinter jeder dieser Wünsche und Sehnsüchte steckt ein Bedürfnis. Bei „Zeit für sich“ ist das dahinterstehende Bedürfnis wahrscheinlich noch recht eindeutig und bei vielen Menschen ähnlich – das Bedürfnis nach Ruhe. Bei dem Wunsch nach einem „guten Buch“ kann das dahinterstehende Bedürfnis deutlich stärker variieren – ist es die Neugierde, etwas Neues zu erfahren und inspiriert zu werden oder fast schon entgegengesetzt die Sehnsucht, einfach mal die Welt um uns herum, mit all ihren Problemen und Herausforderungen zu vergessen und in eine Traumwelt einzutauchen…

Was ist für Sie erholsam und welches Bedürfnis, also welcher Wunsch oder welche Sehnsucht stecken bei Ihnen hinter dem Urlaubsgefühl? Und die spannende Frage ist dann, wie könnte die Erfüllung ihres Bedürfnisses in Balkonien aussehen?
Wir habe ein paar Anregungen und Ideen gesammelt:

Zeit zur Erholung:

  • Schaffen Sie eine bequeme Liege an, um stundenlang zu lesen.
  • Vereinbaren Sie mit ihrer Familie zwei Stunden am Tag, an denen Sie unter keinen Umständen gestört werden.
  • Nehmen Sie ein ausgiebiges Bad.
  • Schalten Sie einen Tag alle Kommunikationsmittel aus.
  • Lesen Sie ein Buch aus ihrer Kindheit – und wenn es die ganze Nacht dauert.
  • Schauen Sie sich die Pflanzen auf ihrem Balkon oder in ihrer Umgebung genau an – wie verändern Sie sich im Laufe des Urlaubs? Was beginnt zu blühen? Wo kommen die ersten Früchte?

Sich etwas Besonderes gönnen:

  • Kaufen Sie sich frische Blumen, damit es besonders gut riecht währen des Urlaubs.
  • Suchen Sie sich die fünf Telefonnummern der besten Lieferservice der Stadt heraus, um sich etwas wirklich Gutes zu Gönnen.
  • Gehen Sie im Feinkostladen einkaufen und deponieren Sie einen Vorrat an Leckereien im Kühlschrank.
  • Sorgen Sie mit einem Kerzenmeer für eine besondere Stimmung.

Inspirierende Urlaubsaktivitäten:

  • Schauen Sie einen Film in einer fremden Sprache an und versuchen Sie nur über die Körpersprache zu verstehen, was gerade vor sich geht.
  • Besuchen Sie das Museum, dass Sie schon ewig interessiert.
  • Testen Sie eine Küche, die Ihnen fremd ist. Halten Sie dabei die Augen geschlossen.
  • Machen Sie einen langen Spaziergang, egal, wie das Wetter ist. Spüren Sie die Natur und spüren Sie sich selbst.
  • Versuchen Sie, mindestens eine Stunde lang Ihre Umgebung aus der Perspektive eines Kindes zu sehen. Seien Sie neugierig und hinterfragen Sie alles.
  • Stehen Sie einmal früher auf und beobachten Sie den Sonnenaufgang.
  • Bewegen Sie sich mindestens eine halbe Stunde lang mit geschlossenen Augen auf ihrem Balkon und in ihrer Wohnung.
  • Schreiben Sie auf einen Zettel alles auf, was Ihnen Spaß macht.
  • Tun Sie etwas, das Sie sich noch nie getraut haben.

Gehen Sie auf Balkonien noch bewusster in den Urlaub

Wie in jedem Urlaub gibt es zusätzlich und gerade in der gewohnten Umgebung ein paar „Urlaubshygieneregeln“ zu beachten. Und die haben garantiert nichts mit Händewaschen zu tun. Laut Nikolai Egold, Psychologieprofessor an der Universität Fresenius in Frankfurt, ist das „bewusste Abschalten“ das Kernelement, um sich im Urlaub gut zu erholen. Und das ist in der gewohnten Umgebung tatsächlich etwas schwerer zu erreichen und benötigt deshalb noch etwas mehr Disziplin. Gehen Sie auf Balkonien noch bewusster in den Urlaub. In der Praxis bedeutet das, kommunizieren Sie ihre Abwesenheit bei den Kollegen, schalten Sie ihren Abwesenheitsassistenten an und vereinbaren Sie, nur in Ausnahmesituationen erreichbar zu sein – auch, wenn Sie ja eigentlich daheim sind. Einen bewussten Abstand zu schaffen ist hier essenziell.

Gott sei Dank unterstützt Balkonien unsere Regenerationsfähigkeit auf ganz natürliche Weise. Urlaub auf Balkonien ist auch deshalb erholsam, weil wir meist mehr Sonnenlicht abbekommen, wodurch die Produktion des Neurotransmitters Serotonin steigt: Wir werden gelassener, ruhiger, zufriedener. Stimuliert durch das Sonnenlicht, gönnt sich der Körper auch eine Extraportion Glückshormone.

Was wirkt noch besser als Urlaub?

Hier herrscht unter Wissenschaft geradezu unerwartete Einigkeit: Wer langfristig regeneriert und entspannt sein will, der braucht jeden Tag ein bisschen Urlaub. Kleine Dinge können dabei eine große Wirkung haben: ein kurzer Spaziergang. Laut Musik hören. Frisches Obst essen. Ein Bad nehmen. Wichtig dabei sei lediglich, dass man sich bewusst Zeit für etwas nimmt, das einem gut tut.

Und für alle, denen Balkonien noch nicht genug nach Traumurlaub klingt – machen sie doch einfach „Staycation“, garantiert der internationale Trend in Sachen Urlaubsplanung.

Weiterführende Literatur und Quellen