Wie uns das Wissen über unsere Stressauslöser hilft, die passende Dosierung für gesunden Stress zu finden.
Der Mensch kann ohne Salz nicht leben, aber ein Gericht aus purem Salz wäre uns tödlich.
Ricarda Octavia Huch
Ein gewisses Maß an Stress hilft uns gesund und aktiv zu bleiben, oder um es mit dem Stressforscher Seyle zu sagen: Stress ist die “Würze unseres Lebens”. Ganz ohne Stress hätten wir keine Aktivierung, unser Energie- oder Leistungsniveau fiele ab und wir würden uns fürchterlich langweilen. Jeder, der beruflich schon mal längere Leerlaufphasen hatte, weiß, wovon ich spreche… Eine gewisse Form der Aktivierung bzw. ein gewisses Stressniveau ist also hilfreich. Aber wie bei allem kommt es auch hier auf das richtige Maß an. Denn dass Dauerstress andererseits krank macht, haben zahlreiche Studien eindrucksvoll belegt und die WHO bezeichnet Stress gar als eine der „größten Gesundheitsgefahr des 21. Jahrhunderts“. Ok, das war vor COVID-19.
Halten wir fest: Grundsätzlich ist Stress nicht zwingend negativ, sondern kann sogar dabei helfen, glücklich und erfüllt zu sein – die Schwierigkeit ist, herauszufinden, wie hoch mein persönliches Stressniveau sein sollte und wodurch ein eventuelles zuviel an Stress ausgelöst wird. Also machen wir uns auf die Suche nach unseren Stressauslösern, den sogenannten „Stressoren“.
Stressoren beschreiben die Auslöser für unsere Stressreaktion, also die Signale oder “Reize” aus der Umwelt, die uns aktivieren und uns ggf. dazu bringen eine Situation als Stress zu bewerten und uns nach Lösungsmöglichkeiten, sog. Copingstrategien, suchen lassen.
Buchstäblich alles, egal ob es bewusst wahrgenommen oder unbewusst erlebt wird, kann ein Stressauslöser sein. Das können äußere Einflüsse sein, wie Lärm, Geruch oder Kälte. Das kann Unsicherheit, Einsamkeit, Konflikte in der Familie genauso wie der eigene Perfektionismus, Schmerzen oder Hunger. Stressoren können also eine große Bandbreite ausweisen. Um für sich selbst einen guten Überblick über die größten Stressquellen zu bekommen, ist es deshalb oft hilfreich eine Kategorisierung vorzunehmen.
- Umweltstressoren wie Lärm, Reizüberflutung, oder unsere Umgebung
- physische Stressoren wir Schlafmangel, Schmerzen, Hunger oder Durst
- psychische Stressoren wie eigene Leistungsansprüche, Zeitdruck, Einsamkeit, Unsicherheit, kritische Lebensereignisse (z.B. Trennung, Geburt, neuer Job).
Der Stress kann also sehr unterschiedliche Quellen haben. Ob ein Signal aus der Umwelt allerdings wirklich ein “Stressor” für uns ist, ist keineswegs festgeschrieben. Was für den einen ein rotes Tuch ist, lässt den anderen völlig kalt. Manche Menschen interpretieren einen Reiz als Stressor, andere verstehen ein und denselben Reiz hingegen als freudiges Ereignis.
Ob wir etwas als stressig empfinden hängt zu großen Teilen von unseren inneren Einstellungen, Motiven und Prägungen ab.
Ob wir von Geburt aus belastbar sind oder nicht, beeinflussen übrigens auch unsere Gene. Glücklich der, der gute “Stressgene” in sich trägt.
Neben den vielen individuellen Stressauslösern, gibt es auch Situationen, die bei allen Menschen ein hohes Stresspotential aufweisen.
Die Psychiater Thomas Holmes und Richard Rahe entwickelten eine Skala mit 43 Lebensereignissen, die The Social Readjustment Rating Scale (SRRS), um das Ausmaß von Stress messen zu können. Der größte Stressauslöser in Bezug auf kritische Lebensereignisse ist dabei – wenig überraschend – der Tod des Ehepartners oder eines Kindes, auf Platz zwei und drei landen Scheidung und Trennung. Der Stressor, der im beruflichen Kontext am meisten belastet, ist der Verlust des Arbeitsplatzes auf Platz 8. Ein Berufswechsel schafft es immerhin auf Platz 18 der stressigsten Lebensereignisse.
Es sind also einerseits belastende Lebensereignisse, die Stress auslösen, aber auch der ganz normale Alltagswahnsinn wird von vielen Menschen als stressig empfunden. In der TK-Stressstudie von 2016 hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa deutschlandweit 1200 Männer und Frauen zu ihren häufigsten Ursachen für Stress befragt. Bei den Männern führt mit über 50% die Arbeit die Stress-Hitliste an, bei Frauen ist der häufigste Grund für Stress ein hoher Anspruch an sich selbst, gefolgt von zu vielen Terminen und Verpflichtungen in der Freizeit.
Machen wir uns den Stress also größtenteils selbst? Und wie genau stellen wir das an?
Um das herauszufinden brauchen wir erstmal eine Definition von Stress. Ich bin sicher, Sie haben ihre individuelle Definition von Stress. Unsere Definition ist:
Stress entsteht immer dann, wenn wir das Gefühl haben, einer Situation oder Anforderung, die an uns gestellt wird, nicht gerecht zu werden. Wenn wir das Gefühl haben, etwas nicht bewältigen zu können.
Um dem eigenen Stress besser zu steuern, hilft es sich einen Überblick zu verschaffen, was bei uns am häufigsten Stress auslöst.
Eine gute Möglichkeit ein klareres Bild darüber zu bekommen, ist ein Stresstagebuch zu führen. In diesem machen Sie sich idealerweise mindestens 1 Woche lang jeden Abend kurze Notizen zu jedem Stressor bzw. Stresssituation mit den folgenden drei Fragen:
- Was habe habe ich gefühlt?
- Was habe ich ich gedacht?
- Was habe ich gemacht?
Eine Vorlage für das Stresstagebuch finden Sie hier zum herunterladen.
Unser Tipp: Sie beschäftigen sich sowieso gerade eben mit dem Thema: Fangen Sie doch jetzt kurz an und notieren Sie sich alle stressigen Situationen der letzten beiden Tage. Haben Sie eine schöne Liste zusammen?
Im nächsten Schritt werten Sie ihr Stresstagebuch aus. Am einfachsten geht das natürlich, wenn Sie mindestens 1-2 Wochen an Daten haben, aber auch mit 2 Tagen können Sie evtl. schon Muster erkennen.
Stellen Sie sich die folgenden Fragen:
- Was sind die häufigsten Stressauslöser? (z.B. Zeitdruck, bestimmte Personen, herausfordernde Aufgaben….)
- Sind in ihren Stresssituationen immer die gleichen Personen beteiligt? Was tun diese genau, um Sie auf die Palme zu bringen?
- Welche Ähnlichkeiten gibt es zwischen den Stresssituationen?
- Was ist ihr typisches Stressverhalten?
Meist erkennen Sie aus dieser Kurzanalyse schon erste Möglichkeiten, an welchen Stressoren Sie ansetzen können und Sie entwickeln erste Ideen, was sie verändern könnten. Vielleicht kommen Sie auch zu der Erkenntnis, dass Sie bei manchen Stressoren nicht viel verändern können, weil es nicht in ihrer Macht steht. Dann liegt die große Kunst darin zu hinterfragen, ob sie wirklich schon alle Möglichkeiten der Veränderung ausprobiert haben? Und wenn dem so ist, es zu akzeptieren und nicht mehr dagegen anzukämpfen.
Lust auf mehr? Woran Sie erkennen, ob ein Stressor beeinflussbar ist oder nicht und welche Bewältigungsstratgie ihre Stresssituation wirksam reduzieren könnte, vertiefen wir in unserem Onlinekurs „Stressbewältigung und Prävention“. Der Kurs ist von der zentralen Prüfstelle Prävention zertifiziert und wird von allen gesetzlichen Krankenkassen erstattet.
Literatur:
- Holmes TH, Rahe RH: The Social Readjustment Rating Scale. In: Journal of Psychosomatic Research. Vol. 11, Nr. 2, 1967, S. 213–218
- Mezo, P. G., & Baker, R. M. (2012). The moderating effects of stress and rumination on depressive symptoms in women and men. Stress and Health, 28(4), 333–339. https://doi.org/10.1002/smi.2417
- Almeida, D. M. (2005). Resilience and vulnerability to daily stressors assessed via diary methods. Current Directions in Psychological Science, 14(2), 64–68. https://doi.org/10.1111/j.0963-7214.2005.00336.x
- TK-Stressstudie. (2016). Entspann dich, Deutschland. Retrieved from https://www.tk.de/resource/blob/2026630/9154e4c71766c410dc859916aa798217/tk-stressstudie-2016-data.pdf