Die Suche nach dem Sinn oder „Purpose“ im Leben scheint immer mehr von uns zu bewegen. Doch wonach suchen wir eigentlich genau?
Ein wachsendes Bedürfnis
Es mag ein Zeichen sein von Wohlstand, Social Media Memes oder der Generation Y — doch ich glaube, dass die Suche nach „Purpose“ mehr als das ist: ein allgemeiner Zeitgeist und wachsendes Bedürfnis in unserer Gesellschaft.
Wir leben in einer Gesellschaft, die eigentlich alles hat und umso mehr vermisst. Wir leben in einer Zeit, die immer mehr Menschen immer mehr ermöglicht, die sich immer schwerer tun, etwas Neues zu starten. Unsere steigende Lebenserwartung erlaubt mehrere Lebensentwürfe, aber Lebensübergänge werden immer schwieriger. Wir haben die Auswahl, und das überfordert uns. Fügt man nun noch globale Verunsicherung hinzu, drängt sich die Frage nach dem Kern oder dem „Warum“ immer häufiger auf.
Die Suche
Wir sind auf der Suche. Auf der Suche nach Glück, nach Erfüllung, nach Sinn. Doch Glück ist flüchtig, Erfüllung entsteht aus dem Kontext, und Sinn ist individuell. Die Suche nach Sinn beschäftigt uns, aber die Beschäftigung mit der Suche macht wenig Sinn, wenn wir nicht wissen, wonach wir wirklich suchen.
Das geht natürlich nicht erst uns so. Spätestens seit Aristoteles stellen sich Philosophen und Psychologen die Frage nach einem erfüllenden und glücklichen Leben. Doch scheint die Frage in den letzten Jahrzehnten auch immer mehr Wissenschaftler anderer Zweige zu beschäftigen, sei es in der Neurologie, Ökonomie oder Kulturwissenschaften.
Wir beschäftigen uns mit Sinn oder „Purpose“, weil er eine wesentliche Grundlage für ein erfülltes Leben ist. Bei zentor verstehen wir Sinn sogar als den wichtigsten Baustein für das Streben nach Glück — neben den anderen Quellen Engagement und Wertschätzung von Mitmenschen.
Ein Verständnis
Der Duden listet zu Sinn ein „Gefühl, Verständnis für etwas; innere Beziehung zu etwas“ oder „Ziel und Zweck, Wert, der einer Sache innewohnt“. Ähnlich das Oxford Dictionary zu Purpose „The reason for which something is done or created or for which something exists“. Für die praktische Suche nach Sinn eine eher unbrauchbare Definition.
Aristoteles nahm an, dass eines Menschen „ergon“ (dessen spezifische Funktion oder essentielle Aufgabe) die vernunftgemäße Betätigung der Seele ist und dass das Vervollkommnen dieser letztlich zu Glück führt. Sehr salopp gesagt bedeutet das also, die eigenen Stärken sinnvoll einzusetzen. Das passt spannenderweise zu aktuellen Ansätzen der positiven Psychologie, in der ein Martin Seligman in etwa sagt, dass man Erfüllung findet, indem man seine Signatur-Stärken für ein Ziel einsetzt, das größer ist als man selbst — was wiederum Maslows höchster Stufe der Bedürfnispyramide ähnelt, der Transzendenz.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich auch unsere Arbeitsdefinition für Sinn oder Purpose:
Mein bestes Ich beschreibt dabei meine Werte, Stärken und das, was meinen Charakter im besten Fall ausmacht; etwas größeres Ganzes beschreibt ein höheres Ziel, eine tiefere Bedeutung oder bezieht sich allgemein auf die Gesellschaft bzw. Menschheit als Ganzes. Diese Arbeitsdefinition bildet auch die Grundlage für praxisbezogenen Ansätze, mit denen wir versuchen, unseren Kunden auf zentor zu inspirieren: Durch spezielle Techniken das eigene Ich besser zu verstehen und den Beitrag für ein größeres Ganzes zu identifizieren.
Das Sein
Die Identifikation mit einer Sache, die größer ist als wir selbst, gibt unserer Existenz eine Berechtigung und eine Bedeutung in einem großen Ganzen. Psychoanalytiker würden hier vermutlich auch mit der Angst vor der eigenen Vergänglichkeit argumentieren. Purpose bzw. Sinn spielt auf der Ebene des Verstandes, im Vergleich dazu spielt Engagement auf der Ebene der Motivation und die Wertschätzung von Mitmenschen auf einer emotionalen Ebene unserer Bedürfnisse. Alle drei zusammen sind die wesentlichen Quellen für das Streben nach Glück.
Auch wenn der Sinn auf den Verstand abzielt und wir hiermit eine hoffentlich brauchbare Arbeitsdefinition liefern, scheint sich Sinn paradoxerweise häufig einem logisch-analytischen Ansatz zu entziehen. Je mehr wir uns anstrengen, Sinn direkt zu sehen, umso schwerer lässt er sich greifen. Wir brauchen Tricks & Kniffe, die uns über Umwege zu unserem Ich führen und manchmal einen tieferen Sinn erkennen lassen. Vielleicht erklärt das auch Aristoteles Zitat “Vergeblich klopft, wer ohne Wein ist, an der Musen Pforte” oder warum neuere Studien mit Pilzen (psilocybin) Menschen helfen können, eigene Bedeutung* zu finden.
*z.B. Griffiths, R. R., Richards, W. A., McCann, U., & Jesse, R. (2006). Psilocybin can occasion mystical-type experiences having substantial and sustained personal meaning and spiritual significance. Psychopharmacology, 187(3), 268–283.