Der Versuch einer Definition für Glück und ein erfülltes Leben…

Darf ich Ihnen eine Frage stellen: Woher wissen Sie, ob Sie ein erfüllendes oder glückliches Leben führen?
Und ich meine jetzt nicht die einzelnen „Zutaten“ dafür, wie tieferen Sinn, Familie, Freunde, Freizeit, Gesundheit, etc., sondern woran genau Sie erkennen , dass Sie glücklich und erfüllt oder eben nicht zufrieden sind.

Vielleicht denken Sie jetzt gerade so etwas Ähnliches wie „ich weiß es, weil ich es spüre“ oder „weil es mir alles zusammen genommen gut oder vielleicht auch nicht so gut geht“.  Für die meisten von uns hat Erfüllung oder Glück irgendwie mit einer Einschätzung oder einem Gefühl zu tun. Aber woher genau kommt dieses Gefühl? 

Nun, die Neurowissenschaft würde jetzt vermutlich eine Antwort mit aktivierten Hirnarealen oder Botenstoffen wie Dopamin und Endorphinen geben, aber uns geht es hier eher um die psychologische Perspektive. Und nach dieser lassen sich vereinfacht gesprochen zwei Komponenten unterscheiden:

  • Eine (physische) Aktivierung, die manchmal schon ganz grob als „gut“ oder „schlecht“ wahrgenommen wird
  • Eine (kognitive) Bewertung dieser Aktivierung oder vergangener Aktivierungen also eine Einschätzung ob diese z.B. Freude, Glück, Angst, oder Wut bedeutet

Darauf schließen sich gleich zwei spannende Fragen an:

  • Würde jemand anders in Ihrer Situation das gleiche fühlen?
  • Und falls ja, würde dieser Jemand dieses Gefühl genauso bewerten wie Sie?

Nun, die Antwort ist wohl: Es hängt von der Biologie der Person, der Wahrnehmung, den Lebenserfahrungen und der Persönlichkeit der Person ab. Jeder Mensch hat vermutlich so etwas wie ein individuelles Potential, in etwa so etwas wie eine „Glücks-DNA„, die beeinflusst, wie man in bestimmten Situation Glück und Erfüllung erlebt. Bevor man sich also auf die Suche nach mehr Erfüllung im Leben macht, sollte man die eigene Glücks-DNA verstehen.

Jemand der aus einem Kriegsgebiet geflohen ist und jahrelang Angst um sein Leben hatte, stellt andere Erwartungen als jemand der in einem sicheren Zuhause aufwächst. Und jemand der gerade krank mit Fieber im Bett liegt, wird seine aktuelle Situation vermutlich auch anders bewerten, als jemand der am Strand im Urlaub einen erfrischenden Smoothie genießt.

Aus diesem Beispiel klingen, neben einer individuellen Glücks-DNA, zwei weitere Faktoren heraus, die unser Gefühl von Glück oder Erfüllung steuern:

  • Unser Anspruch bzw. unsere Erwartungen
  • Unsere wahrgenommene Wirklichkeit; und diese kann sowohl die aktuell erlebte als auch eine erinnerte Wirklichkeit sein

In diesen beiden Faktoren liegt auch der Kern unserer Definition von Glück, die sich wie folgt darstellen lässt:

Eine graphische Definition von Glück bzw. Glücksmomenten

Gehen wir von den üblichen Höhen und Tiefen unseres Alltags aus bzw. unseren Erlebnisse über die Zeit und angenommen, wir stellen eine gewisse Erwartung an unser Leben. Dann stellen Erlebnisse oberhalb unserer Erwartungslinie Momente dar, die uns positiv überraschen – das, was wir Momente der Freude oder des Glücks nennen. Unglücksmomente entstehen wiederum, wenn unsere Erwartungen oder unsere impliziten Bedürfnisse und Ansprüche nicht erfüllt werden. Nach unserem Verständnis ist Glück also kein stabiler Zustand, sondern zeigt sich als freudige Momente – was auch neurologisch Sinn macht, da so eine Emotion nicht über längere Zeit stabil sein kann.

Unsere Definition zum Thema Glück lautet also: 

Glücksmomente entstehen, wenn unsere Erwartungen von unserer erlebten Wirklichkeit erfüllt oder übertroffen werden.

In unserer Wirklichkeit reihen sich über die Zeit Momente aneinander, die – in Abhängigkeit von unseren Erwartungen – entweder als Glücks- oder Unglücksmomente erlebt werden. 

Natürlich ist diese Unterscheidung nach Glücks- und Unglücksmomente im Leben eine grobe Vereinfachung. Spannenderweise erleben wir nämlich oft Momente in denen wir gar keine bewusste Erwartung haben, und in denen dann eher unsere unterbewussten Bedürfnisse, Motive und Ansprüche zum Tragen kommen – also das, was wir zuvor als Glücks-DNA eingeführt hatten. Auch ist unsere erlebte Wirklichkeit oft zu komplex, als dass wir sie eindeutig als über oder unter den Ansprüchen bewerten könnten; nur ganz wenige Momente sind reines Glück oder reines Unglück.

Wenn wir die Frage gestellt bekommen, ob wir ein erfüllendes Leben führen, werden wir meist daher nicht nur einen Moment betrachten – sondern über einen gewissen Zeitraum nachdenken und bewerten, was wir an Glücks- oder Unglücksmomenten erlebt haben.

Aus dieser Überlegung entsteht unsere Definition von Erfüllung:

Ein Leben ist dann erfüllt, wenn unsere Bilanz von wahrgenommenen Glücksmomente zu Unglücksmomente positiv ausfällt. 

Vereinfacht gesprochen führen wir also dann ein erfülltes Leben, wenn wir spüren, dass wir mehr Glücks- als Unglücksmomente erleben. Und wir brauchen spannenderweise dazu beides, Glücks- und Unglücksmomente, um eine Bilanz unserer Erfüllung überhaupt anstellen zu können. Es geht dabei übrigens weniger um die objektive Quantität von Momenten, sondern um die subjektiv wahrgenommene Qualität. Und es kann nicht nur ein und derselbe Moment von unterschiedlichen Menschen sehr verschieden wahrgenommen werden. Auch ab welchem Verhältnis von positiven zu negativen Erlebnissen wir ein Leben als erfüllt wahrnehmen ist individuell verschieden. Was wir allerdings aus der Psychologie wissen, ist, dass ein stark negatives Erlebnis nicht mit nur einem gleichwertigen positiven Erlebnis emotional ausgeglichen werden kann.

Eine graphische Definition von Erfüllung

Aus diesen beiden Definition lassen sich nun drei Ansätze für ein erfülltes Leben ableiten:

  1. Gelegenheiten für mehr Glücksmomente schaffen
  2. Unsere Erwartungen und wahrgenommen Realität bewusster steuern
  3. Unsere Glücks-DNA, Erlebnisse, Erwartungen und Wahrnehmung in ein gut integriertes Ich verbinden, das die Balance zwischen der Innen- und Außenwelt schafft

Alle drei Strategien führen dazu, dass wir mehr Ereignisse in unserem Leben wahrnehmen, die unsere Erwartungen mindestens erfüllen. Diese Ereignisse erleben wir als Glücksmomente, die – sofern die Balance zu den Unglücksmomenten ins positive schwingt – zu einem erfüllten Leben beitragen

Quellen und Tipps für vertiefende Literatur:

  • Seligman, M. (2017). Authentic Happiness: Using the New Positive Psychology to Realise Your Potential for Lasting Fulfilment. Nicholas Brealey Publishing.
  • Gawdat, M. (2017). Die Formel für Glück: Und wie Sie diese nutzen. Redline Verlag.
  • Kahneman, D., & Tversky, A. (1979). Prospect theory: An analysis of decision under risk. Econometrika, 47, 263-291. Econometrica, 47(2), 263–292. https://doi.org/10.2307/1914185
  • Tversky, A., & Kahneman, D. (1992). Advances in Prospect Theory: Cumulative Representation of Uncertainty. Journal of Risk and Uncertainty, (5), 297–323.
  • Tversky, A., & Kahneman, D. (1981). The framing of decisions and the psychology of choice. Science, 211(4481), 453–458.