Das ewige Dilemma: Geld macht nicht glücklich – aber ohne Geld geht’s auch nicht. Wir sind definitiv keine Finanzberater, aber vielleicht wird es Zeit, dass wir uns einmal der schwierigen Frage widmen: Wieviel Geld brauchen wir eigentlich, um glücklich sein zu können? Können wir unsere Geldangelegenheiten „glücksoptimieren“, indem wir einer ökonomischen Bilanz eine psychologische gegenüberstellen?

Früher war doch alles besser …

Erinnern Sie sich noch an Ihre Kindheit, als Sie Ihr erstes Taschengeld bekommen haben, um sich einmal die Woche ein Eis oder Süßigkeiten kaufen? Oder an Ihre Schulzeit, in der Sie zum ersten Mal gelernt haben, Ihr Taschengeld für einen größeren Wunsch aufzusparen?

Oder an Ihr erstes selbst verdientes Geld? Bei mir war es ein Musikladen während der Schulzeit, bei dem ich 1-2 Nachmittage die Woche und in den Ferien aushalf. Für die eigene Arbeitsleistung entlohnt zu werden, wovon man sich etwas gönnen durfte. In meinem Fall habe ich mein gesamtes Geld gleich im Laden gelassen und nach ein paar Monaten mein erstes Musikinstrument erstanden – es war ein Keyboard.

Haben Sie sich damals Gedanken über die Altersvorsorge gemacht? Oder welchen Anteil Ihres monatlichen Einkommens Sie für Ihre Wohnung ausgeben können? Wie viel Cashflow Sie brauchen, um sich „das Leben“ leisten zu können? Ich hoffe nicht.

Glück und Geld

Es gibt eine Parallele zwischen Glück und Geld. In unserer Kindheit machen wir uns wenig Gedanken zu Geld, es gibt uns nur das gelegentliche Glücksgefühl, z.B. eine Kugel Eis genießen zur dürfen. Je älter wir werden, umso größer wird die Rolle, die Geld in unseren Gedanken und Leben einnimmt und umso häufiger ist es ein Quelle für Unzufriedenheit. Die Rechnungen, die wir bezahlen müssen, der Vergleich des Gehaltsschecks mit den Kolleg:innen, die Altersvorsorge, um die wir uns kümmern müssten, welche Wohnung oder Haus wir uns leisten können, das Budget für den Urlaub. 

Je mehr wir uns mit Geld beschäftigen, desto eher ist es (für die meisten Menschen) Anlass für negative Gedanken. Und natürlich ist diese Entwicklung ein wichtiger und natürlicher Schritt, der bedeutet, dass wir auf eigenen Füßen stehen und Verantwortung übernehmen – für uns und unsere Familien. Trotzdem erscheint es ein wenig paradox. Wir brauchen Geld, um uns ein glückliches Leben leisten zu können, aber je mehr wir uns mit Geld beschäftigen umso weniger trägt es zu unserem Glücksempfinden bei. 

Ein Sechser im Lotto oder in der Karriere?

Man könnten nun glauben, dass zumindest ein Lottogewinn glücklich machen sollte, da man sich ja endlich keine Sorgen um Geld mehr machen muss. Doch leider scheint auch das nicht der Fall zu sein. In einer klassischen Studie untersuchten Brickmann et al. (1978) 22 Lotteriegewinner gegen eine Kontrollgruppe und stellten fest, dass diese sich nach ein paar Monaten nicht glücklicher fühlten als die Kontrollgruppe, und im Gegenzug sogar weniger Freude aus alltäglichen Ereignissen ziehen, wie z.B. mit einem Freund sprechen, einen Witz hören, eine Zeitschrift lesen, Kleidung shoppen gehen. Einige neuere Studien zeigen ein differenzierteres Bild, so sehen z.B. Lindquist et al. (2020) einen positiven Effekt auf Lebenszufriedenheit, aber wenig Einfluss auf Glücksempfinden und psychische Gesundheit. Raschke (2019) findet wiederum sogar einen negativen Einfluss auf psychische Gesundheit bei geringer Bildung und keinen Einfluss bei höherer Bildung. Wie immer, ist sich die Wissenschaft nicht ganz einig, aber fest steht zumindest, dass ein Lottogewinn wohl Glück ist, aber nicht glücklich macht.

Gut, könnte man nun sagen, im Lotto gewinnen ist sowieso sehr unwahrscheinlich, aber wie sieht‘s den aus mit Beruf und Karriere? Mit wachsendem Gehaltsscheck nimmt doch sicher auch unser Glücksempfinden zu. Leider gibt es auch hierzu wohl sehr klare Grenzen. Eine berühmte Studie des Nobelpreisträgers Kahneman (& Deaton, 2010) zeigte, dass ab einem Haushaltseinkommen von $75.000 in den USA, der Glücksempfinden nicht mehr zunimmt. Auch für Deutschland fanden Di Tella et al. (2010), dass ein wachsendes Einkommen über Zeit (solange es über der Armutsgrenze liegt) wenig Einfluss auf Glücksempfinden hat. Und wie so üblich in der Wissenschaft, zweifelt eine ganz aktuelle Studie (Kilingsworth, 2021) diese Erkenntnisse wieder ein wenig an. Trotzdem lässt sich auch hier festhalten, dass sobald ein gewisses Level erreicht ist, ein „mehr“ an Einkommen zwar die Zufriedenheit heben kann, aber nicht glücklicher macht

Wieviel brauchen wir denn nun wirklich?

Geld an sich macht nicht glücklich, es gibt uns aber die Freiheit, uns auf die Dinge zu konzentrieren, die uns glücklich machen können – wie unseren Onlinekurs Purpose finden (neudeutsch für tieferen Sinn im Leben), Zeit mit Freunden zu verbringen oder unseren Hobbies nachgehen, während wir uns die sprichwörtliche Kugel Eis gönnen. Der große Trade-off für die meisten von uns besteht aus Geld versus Freiheit bzw. Freizeit. Solange Sie nicht Ihre volle und einzige Erfüllung in Ihrer bezahlten Arbeit finden (und auf alle anderen Glücksquellen verzichten können), gilt der Zusammenhang: Je mehr wir schuften, umso mehr verdienen wir, und umso weniger haben wir freie Zeit und freie Entscheidungen. So platt es klingt: Zeit ist Geld. 
Die spannende Frage bleibt also, ab welchem Einkommenslevel haben wir genug Geld, um endlich unsere Zeit glücklicher zu verbringen?

Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten dies zu beantworten: 

  1. Betrag X als Gesamtvermögen (Kontostand plus Anlagevermögen, etc.) oder 
  2. Betrag Y an monatlichen Geldeingang aufs Konto (plus Puffer)

Anhänger von Typ 1 hört man manchmal sagen „Sobald ich € x Mio. gemacht habe, höre ich auf zu arbeiten!“. Ein Vertreter von Typ 2 würde eher sagen „Als Familie brauchen wir im Schnitt ca. €4.000 netto im Monat mit Puffer für alle Ausgaben und Vorsorge, also müssen wir mindestens das verdienen!“. Nach meiner Meinung ist der Typ 1 Ansatz eine gefährliche Lebenslüge, da sich das Ziel meist bewegt und das Beschäftigen mit der Frage, was wirklich glücklich macht, in eine ferne Zukunft verschiebt. Aber diese Diskussion führt hier wohl zu weit. 

Es gibt noch einen anderen Grund, warum Typ 2 (also die monatliche Cash-Flow Grenze) zur Glücksoptimierung besser geeignet ist – sie lässt sich deutlich einfacher beantworten. Und man verwechselt die Planung auch nicht mit Vertriebsgesprächen der wohlwollenden „Finanzberater“, die einem ganz uneigennützig noch eine weitere Lebensversicherung empfehlen.

Glücksoptimierter Cashflow

Wie optimieren Sie Ihren Cashflow auf Glück? Nun zum Start brauchen Sie eigentlich nur einmal Ihre Kontoauszüge der letzten 12 Monate bzw. für das, was eine repräsentative Zeitspanne für Ihre Einnahmen und Ausgaben darstellt und idealweise Excel (oder Papier und Bleistift). Dann klassifizieren Sie Ihren aktuellen „Cashflow“ – also Ihre durchschnittlichen monatlichen Einnahmen und Ausgaben – nach ein paar sinnvollen Kategorien, wie z.B. auf der Einnahmenseite Gehalt, Nebenberufliches, Förderung etc. und auf der Ausgabenseite Wohnen, Essen, Kinder, Ausgehen, Transport, Vorsorge, Shopping, etc. Einige Banken ermöglichen es auch direkt Ihre Buchungen im Onlinebanking zu kategorisieren. Nach der Kategorisierung beginnt der eigentliche, spannende Teil: Die Glücksoptimierung Ihres Cashflows. Und die funktioniert im Prinzip über eine ganz wesentliche Frage:

„Was würde mich/uns glücklicher machen: mehr für einzelne Dinge und Kategorien auszugeben oder weniger arbeiten zu müssen und mir/uns mehr Freiheit zu leisten?“

Es geht dabei nicht darum, sich zwingend zu beschränken oder Ihre Altersvorsorge zu vergessen, es geht darum zusätzlich zu einer ökonomischen eine psychologische Bilanz zu erstellen, in der Sie einmal ganz bewusst hypothetisch annehmen, Sie könnten flexibel über Ihre Zeit bestimmen. 

Die erste, sehr natürliche Reaktion auf diesen Vorschlag lautet nach meiner Erfahrung immer: „Ich würde ja gern, aber ich kann nicht, da ich … noch abbezahlen muss oder wir auf … sparen oder … gerade dringend brauchen/kaufen müssen.“

Das einzige was als Antwort darauf hilft, ist der tiefe Blick in den Spiegel: Wenn es wirklich hart auf hart kommt, welche Ihrer Ausgaben sind wirklich zwingend und in diesem Umfang notwendig? Reicht vielleicht auch eine kleinere Wohnung, der Urlaub in der Nähe, weniger Statussymbole, etc.? Die meisten unserer Ausgaben sind über die Jahre „organisch gewachsen“. Und dummerweise funktioniert die menschliche Psyche so, dass der Verlust eines Besitzes/Annehmlichkeit mehr schmerzt als der Neuzugewinn desgleichen. Ausgaben lass sich leicht steigern und schwer wieder senken. 

Wenn Sie aber einmal den steigenden Stress im Job im Privaten, Missmut über zu wenig Zeit für Freunde und Hobbies und den gefühlten Verlust Ihrer Freiheit über Ihre Lebenszeit zusammenzählen, und dann diesen den aktuellen Ausgaben entgegenstellen: Gibt es nicht vielleicht eine andere Balance (Bilanz) zwischen psychische Belastung und Glücksmomenten? Wer sagt, dass Sie „Ihr Glücksoptimum“ schon erreicht haben?

Unser Tipp: Machen Sie diese Optimierung nicht allein – sondern zusammen mit Ihrem/r Partner:in bzw. im Familienrat. Und am besten nur, nachdem Sie das Thema Glück schon einmal gemeinsam besprochen (oder diesen Artikel weitergeleitet) haben. 

Zwei komplementäre Bilanzen

Eine ökonomische Bilanz stellen wir eigentlich jeden Monat an – und sei es nur implizit durch den gelegentlichen Blick auf unser Girokonto. Die ökonomische Bilanz ist auch das, was ich den Status Quo nennen würde – Ihr aktuelles Optimum von Einnahmenlevel zu Ausgabenlevel. Was nun zur Glücksoptimierung fehlt, ist die Ergänzung um eine psychologische Bilanz. Und damit wir diese beiden verbinden können, brauchen wir einen gemeinsamen Nenner der für beide gilt – nämlich Lebenszeit. 

  • Ökonomische Bilanz (Einnahmen – Ausgaben): Wie viele Stunden muss ich arbeiten um meine derzeitigen Ausgaben zu decken?
  • Psychologische Bilanz (Belastung – Glücksmomente): Wie belastend ist der Aufwand für mein Einkommen im Vergleich zu den Glücksmomenten, die ich aus meinen Ausgaben und meiner Freizeit bzw. Freiheit ziehe?

Manchmal reicht es schon, die monatlichen Ausgaben pro Kategorien einmal zu sehen, um zu erkennen, dass es vielleicht ein Potential zum Abwägen gibt. 

Klarer wird es, wenn Sie sich einmal vor Augen führen, dass 1 Stunde Aufwand für Einkommen sich nicht linear in 1 Stunde Freude für Ausgaben oder Freizeit übersetzt. Und noch klarer wird es, wenn Sie in Grenznutzen denken: Bring der letzte €1 Einkommenslast wirklich den gleichen Gegenwert für €1 Ausgaben- oder Freizeitfreude, wie der erste?

Und wenn Ihnen diese Übung zu hypothetisch erscheint: Haben Sie schon einmal ernsthaft versucht, Ihre Arbeitszeit um 2-3 Stunden pro Woche zu senken, selbst wenn Sie dadurch auf etwas Einkommen oder Bonus verzichten müssten. Wie würden Sie Ihre neu gewonnen Freizeit nutzen? Wie würde es sich anfühlen, diese Freiheit zu haben? 

Wege zum Glück

Vielleicht schaffen wir es ja mit diesem Artikel Sie dazu zu inspirieren, sich Ihren glücksoptimierten Cashflow zu widmen. Bei zentor beschäftigen wir uns täglich mit der Frage danach, was es bedeutet, auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse ein erfülltes Leben zu führen, Purpose zu finden mit Stress umzugehenoder – im B2B Kontext – eine nachhaltige Unternehmenskultur zu fördern. 

Das Thema Geld und Glück ist eher neu für uns, daher freuen wir uns sehr über Feedback zu diesem Artikel, z.B. via E-Mail an gluecksflow[at]zentor.de. Und irgendwann schaffe ich es vielleicht sogar, ein Excel-Template für einen glücksoptimierten Cashflow zu entwickeln und dafür brauchen wir bestimmt Betatester… schreiben Sie uns!


Quellen und weiterführende Literatur

  • Brickman, P., Coates, D., & Janoff-Bulman, R. (1978). Lottery winners and accident victims: Is happiness relative? Journal of Personality and Social Psychology36(8), 917–927. https://doi.org/10.1037/0022-3514.36.8.917
  • Di Tella, R., Haisken-De New, J., & MacCulloch, R. (2010). Happiness adaptation to income and to status in an individual panel. Journal of Economic Behavior and Organization76(3), 834–852. https://doi.org/10.1016/j.jebo.2010.09.016
  • Lindqvist, E., Östling, R., & Cesarini, D. (2020). Long-Run Effects of Lottery Wealth on Psychological Well-Being. Review of Economic Studies87(6), 2703–2726. https://doi.org/10.1093/restud/rdaa006
  • Kahneman, D., & Deaton, A. (2010). High income improves evaluation of life but not emotional well-being. Proceedings of the National Academy of Sciences107(38), 16489–16493. https://doi.org/10.1073/pnas.1011492107
  • Killingsworth, M. A. (2021). Experienced well-being rises with income, even above $75,000 per year. Proceedings of the National Academy of Sciences118(4), e2016976118. https://doi.org/10.1073/pnas.2016976118
  • Oswald, A. J., & Winkelmann, R. (2008). Delay and deservingness after winning the lottery (No. No. 0815,). Zurich. Retrieved from https://www.econstor.eu/bitstream/10419/76207/1/612408701.pdf
  • Raschke, C. (2019). Unexpected windfalls, education, and mental health: evidence from lottery winners in Germany. Applied Economics51(2), 207–218.