Warum fällt es uns so schwer, etwas zu ändern in unserem Leben – beruflich wie privat die Dinge umzusetzen, die uns glücklicher machen würden? 

Schlaues Unglück

In Leadership Trainings und Coaching Sessions treffe ich immer wieder auf Leute, die einerseits sehr erfolgreich sind und anderseits das Gefühl haben, das irgendetwas sehr schiefläuft. Viele von ihnen beschäftigen sich dabeiintensiv mit der Frage, was ein erfülltes, glückliches Leben ausmacht – wozu ich an andere Stelle einige IdeenAnsätze und Perspektiven verfasst habe (Kurzfassung: Glück entsteht aus Momenten, die unsere unbewusste Erwartung übertreffen und in denen wir u.a. tieferen Sinn, Engagement oder Wertschätzung erleben).

Doch sich nur damit zu „beschäftigen“, reicht nicht: es fehlt der Schritt vom Wissen zum Entscheiden, vom Denken zum Handeln, vom Erkennen zum Erleben. Warum fällt uns der Transfer so schwer – unser Wissen in die Praxis umzusetzen, unser Leben so zu führen, dass wir es erfüllter wahrnehmen?

Grenzenlose Kompromisse

Die meisten von uns – vielleicht mit der Ausnahme von abgeschiedenen Einsiedlern oder spirituell erleuchteten Klosterschwestern – können sich einem immer wiederkehrenden Konflikt nicht entziehen:

  • Auf einer Seite steht etwas (häufig inneres) Unbegrenztes: Meine freien Gedanken, alles was mich interessiert, meine ungebändigten Wünsche und Bedürfnisse, die Summe aller Möglichkeiten, etc.
  • Auf der anderen Seite steht eine (häufig äußere) Begrenzung: Ressourcen wie Zeit, Energie, Geld, oder die Bedürfnisse anderer, Aufmerksamkeit etc.

Zu Leben bedeutet Kompromisse zwischen diesen Extremen zu finden, sie gegeneinander abzuwägen und Lösungen auszuhandeln. Manchmal gelingt uns eine „win-win“ Situation (geteiltes Glück ist doppeltes Glück…), doch viele sind Nullsummenspiele, die eine Entscheidung erfordern – für das eine und gegen das andere:

  • Schlafen oder Wachen
  • Dem Vorgesetzten mehr Arbeit abnehmen oder das eigene Projekt anschieben
  • Etwas Neues anfangen oder Altes zu Ende bringen
  • Abenteuer erleben oder Sicherheit spüren
  • Geld ausgeben oder sparen
  • Karriere machen oder Freizeit genießen
  • Das Mittagessen in der Sonne genießen oder abends früher fertig werden
  • Mit Freunden essen gehen oder die Couch besetzen

Dieses ständige Entscheiden, das Verhandeln mit mir selbst und anderen, kostet Energie.

Zwei Dinge machen uns den Weg zu einem erfüllteren Leben schwerer: Entscheidungen und Trägheit

Energieeffiziente Entscheidungen

Je müder wir sind, umso schwieriger fällt es uns Entscheidungen zu treffen. Und umso wichtiger und komplexer die Entscheidung, umso mehr gefühlte Kraft oder Energie kostet diese.

In der Psychologie und Neurobiologie gibt es eine Theorie, die besagt, dass wir – vereinfacht gesprochen – zwei unterschiedliche Denk- bzw. Entscheidungsmuster haben: eines, das mit geringem Energieaufwand schnell, instinktiv, erfahrungsgeleitet und eher emotional funktioniert, und eines, das mit hohem Energieaufwand langsam, analytisch, rational und logisch vorgeht. Daniel Kahneman nennt diese das System 1 und das System 2. Und (trotz einiger berechtigter Kritik daran) macht es intuitiv Sinn, dass wir ein Großteil (ca. 95%) unserer Entscheidungen mit System 1 treffen, das sehr energieeffizient arbeitet – aber leider manchmal fehleranfällig ist. 

Ein Problem von System 1 ist, dass kurzfristige Emotionen eine stärkere Rolle bei Entscheidungen spielen als „vernünftige“ langfristig orientierte Ziele. Natürlich ist es angenehmer, jetzt auf der Couch zu entspannen, als die Steuererklärung zu machen oder den guten Vorsatz zu starten, auch wenn ich genau weiß, dass ich (in Zukunft) froh wäre, es erledigt zu haben. Ein wunderbarer TEDTalk von Tim Urban beschreibt dieses Problem der Prokrastination. Wobei auch die Präkrastination, also der Drang alles immer sofort und möglichst schnell zu erledigen, vermutlich genauso ungesund für unsere Psyche ist. Als eine Analogie aus der Physik passt das Trägheitsgesetz: Im System 1 ist es leichter, so weiterzumachen wie bisher, als etwas zu ändern. 

Erst wenn ich mich bewusst zwinge, oder der Leidensdruck stark genug ist, dass ich ihn auch intuitiv spüre, raffe ich mich seufzend dazu auf, mein System 2 anzuschalten und mich mit den schwierigen Entscheidungen des Lebens auseinanderzusetzen: Worum geht es eigentlich? Was muss ich tun? Was muss ich ändern?

Und nach den Entscheiden muss ein Handeln folgen, damit sich in meinem Leben auch wirklich etwas ändert – noch mehr Energiebedarf. 

Animalische Trägheit

Der zur Wildschwein-Jagd eingesetzte „Sauhund“, dessen Aufgaben es war, ebendiese zu hetzen, zu ermüden und festzuhalten, wurde schon im 19. Jahrhunderts als Schimpfwort für Menschen mit eher kräftezehrendem Charakter verwendet. Diesen Namenspatron für unseren imaginären inneren Schweinehund gilt es zu überwinden. Die Trägheit besiegen und Kraft, Energie und Motivation freisetzen für ein Entscheiden und Handeln, das uns ein erfüllteres Leben ermöglicht.

Die Metapher eines Schweinehundes mag einerseits hinderlich sein, da sie es uns leichter macht, unsere Unlust in andere Schuhe zu schieben, als selbst Verantwortung zu übernehmen. Andererseits hilft mir das Bild eines Sündenbocks vor Augen, den ich belasten, in Angriff nehmen und besiegen kann. 

Während des CoVid19-Lockdowns ist bei unserer Familie übrigens ein imaginärer Mitbewohner eingezogen: „Kevin“ hat unfassbar viel angestellt und dumme Sachen gemacht, aber dafür viel zu unserem restlichen Familienfrieden beigetragen. Aber das ist eine andere Geschichte… 

In Teil 2 des Blogposts geht es anschließend darum, was wir konkret tun können, um uns schwierige Entscheidungen und deren Umsetzung in die Tat zu erleichtern…

Literatur und Links

Image credit: DALL-E by ChatGPT